Für Berger bleibt Red Bull noch lange an Spitze

Gerhard Berger (im Bild mit Ayrton Senna)

weiss, warum die grossen Hersteller den Erfolgen hinterherfuhren

Seit der Entwicklung des RB5 vor zwei Jahren zählt Red Bull zu den potenziellen WM-Favoriten. In der Saison 2011 hat sich das Team um Christian Horner zur absoluten Benchmark der Szene entwickelt, was die vorzeitigen Gewinne der beiden Weltmeistertitel belegen. Doch wie sieht die Zukunft der Österreicher aus? Prägt man eine eigene Ära oder droht ein Absturz?

Gerhard Berger glaubt nicht daran, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Red Bull einen ähnlichen Verlauf nimmt, wie die von Williams: "Nie und nimmer, solange Didi Mateschitz lebt. Er ist ein Getriebener, der immer neue Erfolge will und es nicht zulassen wird, dass man nachlässt. Das Gleiche gilt für Vettel und Newey. Red Bull bleibt noch auf Jahre vorn." Hinter den Erfolgen steht ein perfekt aufgestelltes Team. Red Bull verfügt über viele schlaue Köpfe, die zur Zeit aber noch im Schatten von Adrian Newey stehen. Doch auch die anderen Teams rüsten auf. Vor allem Mercedes machte in den vergangenen Wochen mit vielen neuen Verpflichtungen Schlagzeilen.

"Mir fällt auf, dass sie Leute holen, die woanders gescheitert sind", grübelt Berger laut 'Sportmagazin'. "Das ist kein gutes Zeichen, denn gute Leute ziehen gute Leute an. Darum mache ich mir um Red Bull auch keine Sorgen, weil in den letzten Jahren die grössten Technikertalente zu Red Bull drängten, weil sie zu Newey wollten."

In seiner Zeit bei BMW beobachtete Berger die Zeit, in der die grossen Automobilkonzerne in die Formel 1 kamen, aus einer besonderen Position. Als Motorsportdirektor war er für den Einstieg der Münchner in die Königsklasse mitverantwortlich. Keiner der Hersteller konnte trotz grosser Budgets die Erfolge feiern, die Red Bull aktuell verzeichnet. "Werksteams haben Prozesse aus der Industrie, die im Rennsport nicht funktionieren", begründet Berger. "Als mich BMW holte, sagte der damalige Vorstand Pischetsrieder: 'Ich brauche einen Racer an der Spitze.' Werke sind zu kompliziert in ihren Strukturen und Entscheidungen. Das beste Beispiel war das totale Scheitern von Toyota."

Berger: Vergangenheit trifft Gegenwart

Gerhard Berger verfügte bei seinem Einstieg in die Formel 1 über sehr viel Talent, konnte aber im Gegensatz zu Sebastian Vettel diese Begabung nie in einen Weltmeister umsetzen. Folglich erinnert ihn der Deutsche laut 'Sportmagazin' auch nicht allzu sehr an den eigenen Formel-1-Einstieg: "Sebastian ist komplett anders. Der geht garantiert viel wissenschaftlicher an die Sache heran als ich damals. Ich hatte nur ein grosses Naturtalent, aber mir war das alles gar nicht bewusst, es ging alles wie von selbst." Die analytische Arbeit, wie sie bereits Michael Schumacher in der Formel 1 zeigte, war nicht Bergers Ding. Der Österreicher wehrt sich zudem gegen die Annahme, dass Schumacher diese Arbeitsweise in der Formel 1 eingeführt habe: "Auch Senna war ein Streber, nur einer mit Charisma. Oder auch Jackie Stewart."
Berger wurde im Alter von 25 Jahren Formel-1-Fahrer. Vettel könnte zu dem Zeitpunkt bereits dreimaliger Weltmeister sein. Dafür musste der Red-Bull-Pilot einen Grossteil seiner Jugend opfern. Deshalb ist sich Berger unsicher, ob er einen Tausch mit dem Heppenheimer eingehen würde: "Würde ich zehn Jahre meiner Jugend opfern, um jetzt sagen zu können, ich war Weltmeister? Meine Antwort ist jeden Tag eine andere. Kommt darauf an, wie man sich halt grad so fühlt."
Den Einstieg in die Formel 1 fand Vettel durch das Red-Bull-Juniorteam. Durch den lockeren Stil von Berger ist es fraglich, ob er in solch einer Förderung bis in die Formel 1 gekommen wäre. Daran hat der ehemalige Grand-Prix-Sieger aber keinen Zweifel: "Helmut Marko war mein Förderer - der Mann, der jetzt die Red-Bull-Junioren führt. Er hatte auch eine gewisse Lockerheit, weil er mein Naturtalent sah. Er liess es immer zu, dass ich ich selbst sein konnte. Aber dieser Leistungsdruck, den die heutigen Junioren haben, wo immer nur der Beste eines Jahrgangs durchkommt? Glaubst du, ich hatte den nicht? Druck gab es überall genauso. Allein wenn ich an meine Zeit im BMW-Tourenwagenteam denke. Wir waren sechs Fahrer, darunter Kaliber wie der Stuck. Da musste man sich genauso beweisen und um seinen Platz zum Überleben kämpfen", so Berger.
Gerade in den 1980ern war die Formel 1 hart umkämpft. Die Leistung der Autos überforderte die Fahrwerke und Reifen, weshalb die Fahrer einen Unterschied machen konnten. Berger erinnert sich: "Als der Niki anfing, hast du im Qualifying gewusst: Wenn ich schneller sein will, muss ich die Kurve voll nehmen. Geht's gut, bin ich Erster. Geht's nicht gut, bin ich tot. Wir hatten 1986 Autos mit 1400 PS, die sich aber wie Lastwagen fuhren, ohne Traktionskontrolle, mit einer Handschaltung. Du hattest eigentlich immer nur eine Hand fürs Lenkrad, mit drei Pedalen statt zwei - Kupplung, Bremse, Gas. Im fünften Gang haben die Räder durchgedreht - das waren Monster, die unfahrbar waren", schildert er.

Berger hielt sich für "unzerstörbar"

Durch den tödlichen Unfall von Dan Wheldon beim IndyCar-Rennen in Las Vegas sind vielen Rennfahrern und Fans die Gefahren des Motorsports wieder schlagartig bewusst geworden. Einer, der diesbezüglich in seiner aktiven Karriere zur Genüge geprüft wurde, ist Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger. Der Österreicher verlor in Imola 1994 mit Ayrton Senna einen seiner besten Freunde auf der Rennstrecke und mit Roland Ratzenberger einen Landsmann. Er selbst verunglückte 1989 ebenfalls beim Grand Prix von San Marino in der Tamburello-Kurve schwer, sass lange im brennenden Ferrari und überlebte wie durch ein Wunder.

Als er 1984 in die Formel 1 einstieg, waren Tote im Motorsport keine Seltenheit. Doch noch heute meint Berger, er hätte damals nie Angst gehabt. Aus Naivität, wie er dem 'Sportmagazin' verrät: "Weil ich es einfach nicht überrissen habe, was ich da tue, nicht realisiert habe, wie viele Leute gestorben sind. Damals ist das alles spurlos an mir vorübergegangen." Erst nach und nach wurde dem Sympathieträger bewusst, wie gefährlich die damalige Ära wirklich war: "Heute schaue ich auf die Ergebnislisten von damals und sehe, wie viele meiner Kollegen verunglückt sind - und dann schaudert's mich. Aber das ist die Gnade der Jugend gewesen, dieses Wilde, Unbekümmerte. Auch heute ist es ja noch so: Der Vettel traut sich manchmal eben auch mehr als ein Älterer."

Im Nachhinein weiss Berger genau, dass der Feuerunfall in Imola seine Einstellung zum Leben veränderte: "Bis dahin hielt ich mich für unzerstörbar. Danach begann ich mehr zu denken." Dies führt der zehnfache Grand-Prix-Sieger weniger auf äussere Umstände zurück, als auf den "Verlust der Jugend. Zu reifen heisst ja auch nachdenklicher werden."

Berger über Vettels Magie

Gerhard Berger ist einer der wenigen, die mit Sebastian Vettel arbeiten durften. In der Zeit bei Toro Rosso konnte sich der Österreicher ein Bild von der Arbeitsweise des aktuellen Weltmeisters machen. Doch schon zu Kartzeiten sah Berger, welches Talent der Deutsche hatte: "Man hat es einfach gespürt. Vettel hat eine Magie, die nur wenige haben: Alonso, Hamilton, er. Bei ihm kommt eine einzigartige Mischung zusammen: unglaubliches Talent, eine fast wissenschaftliche Herangehensweise an seinen Beruf und eine Bodenständigkeit, die unglaublich ist. Und die Fähigkeit, mit Leuten im Team perfekt zu kommunizieren, Stimmung zu verbreiten", wird Berger vom 'Sportmagazin' zitiert.

Die Entscheidung zwischen einem sehr guten und einem grandiosen Piloten fällt Berger leicht. "Die Grossen gewinnen Meisterschaften und die weniger Grossen wie Webber oder Massa gewinnen sie eben halt knapp nicht", erklärt er. "Das ist kein Zufall. Gerade erst habe ich mir die Karriere von Carlos Checa angeschaut, der jetzt mit knapp 40 Superbike-Weltmeister wurde. Da ist mir erst aufgefallen, wie wenig der in all den Jahren davor gewonnen hat."

Auch Jenson Button zählt laut Berger nicht zu den Besten. Einen Vergleich mit Vettel lehnt er ab: "Man kann sie nicht vergleichen, Vettel ist eine andere Liga. Jenson ist ein supersympathischer Kerl, aber zur Superklasse von Seb fehlt ihm einiges." Doch auch Michael Schumacher hat laut Berger nicht mehr die Fähigkeiten, es mit dem Red-Bull-Piloten aufzunehmen: "Ich habe Michael immer verteidigt. Er braucht nach sieben WM-Titeln keinem mehr was beweisen. Mit den besten Jungs kommt er nicht mehr mit, aber er ist bei weitem gut genug, um sich seinen Platz zu verdienen."
Ungeahntes Talent bescheinigt er hingegen Force-India-Pilot Paul di Resta. "Franz Tost und ich haben uns schon vor Jahren überlegt, ihn zu Toro Rosso zu holen", gibt Berger zu. "Er war in der Formel 3 vor Vettel. Er hat Potenzial. Und Nico Rosberg. Der Einzige, bei dem ich mich in den letzten Jahren getäuscht habe, war unser Pilot Sebastien Bourdais. Der kam aus Amerika als einer, der alles gewonnen hatte, aber die Formel 1 war ihm einfach zu schnell. Dieses späte Bremsen, das war zu viel für ihn."

22.10.2011