Perez-Renningenieur im Interview

Sergio Perez

im Gespräch mit Renningenieur Marco Schüpbach

Der Renningenieur Marco Schüpbach ist seit zehn Jahren Teil der Formel 1. Im Interview erklärt der Schweizer, wie ein typisches Rennwochenende für ihn aussieht, wie er Sauber sieht und warum er gerne wieder innerhalb der Saison testen würde.

Frage: Wie lange bist du schon beim Sauber-Team? Beschreibe bitte deinen Werdegang beim Team.

Marco Schüpbach: Im Dezember sind es zehn Jahre. Ich kam aus der Formel 3 vom Team Mücke und habe in Hinwil am Sieben-Stempel-Prüfstand angefangen. Im April 2004 bin ich als Ingenieur ins Testteam gewechselt und von dort zwei Jahre später in derselben Position ins Rennteam. Dort habe ich ein Jahr lang mit Nick Heidfeld gearbeitet, dann drei Jahre mit Robert Kubica, letztes Jahr mit Kamui Kobayashi und dieses Jahr bin ich Renningenieur von Sergio Perez.

Welche Ausbildung hast du?

Ich habe erst Feinmechaniker gelernt und dann in Muttenz Maschineningenieurwesen an der Fachhochschule studiert.

Wie und warum bist du zu Sauber gekommen?

Ich hatte mich während des Studiums schon mal für einen Job im Design hier beworben, was aber erst mal nicht geklappt hat. Im Sommer hat sich dann Sauber noch mal bei mir gemeldet, allerdings hatte ich zu der Zeit schon bei Mücke angefangen. Ende 2001 sind wir dann noch mal ins Gespräch gekommen.

Wofür bist du im Team verantwortlich?

Grundsätzlich kann man sagen, dass ich für die Leistung und die Zuverlässigkeit von Sergios Auto zuständig bin. Die Balance und die Leistung des Autos müssen stimmen und der Fahrer muss sich im Auto wohlfühlen. Vor Istanbul habe ich das technische Programm geplant. Da es keine Testteams mehr gibt, müssen wir jetzt zum Beispiel neue Teile vor dem Rennen in den offiziellen Freitags-Trainings testen. Dazu plane ich die Programme. Für das Rennen selber schaue ich mir an, mit welchen Einstellungen wir zum ersten Mal aus der Box fahren und gebe den Mechanikern schon mal Vorabinformationen, wie sie das Fahrzeug aufbauen sollen: Welcher Sturz zum Beispiel, welche Bremsenkonfiguration, Kühlung und solche Punkte. Ausserdem schaue ich mir noch einmal die Daten vom letzten Jahr genau an: Welche Strategie haben wir dort gewählt, wie haben sich die Reifen verhalten, mit welchen Reifendrücken sind wir gefahren und so weiter.

Beschreibe bitte das Team in drei Worten.

Alle sind sehr motiviert und fordernd. Jeder fordert alles von sich selber. Ausserdem gibt es im Rennteam gutes Teamwork. Alle wollen das Beste und geben dafür alles.

Welches Ereignis an einem Rennwochenende wird dir noch lange in Erinnerung bleiben?

Das ist einfach: Eigentlich sind es zwei: Das beste Erlebnis war sicher Montreal 2008, als Robert Kubica gewonnen hat. Und der Tiefpunkt war ganz klar genau ein Jahr vorher in Kanada, als Robert den schweren Unfall hatte. Ich war damals besonders betroffen, da ich das Auto betreut habe. Die Pole-Position in Bahrain war auch etwas ganz spezielles, wenn Du ganz vorne bist in der Startaufstellung und keiner mehr vor Dir steht. Ehrlich gesagt mache ich das in erster Linie von Resultaten abhängig.

Welches ist dein Lieblings-Rennen im Grand-Prix-Kalender und warum?

Es gibt nicht 'das einzige Lieblings-Rennen'. Ich mag die Strecken mit 'M': Allen voran Montreal und Melbourne. Melbourne und Montreal haben tolle Strecken und auch die Städte selber sind faszinierend. Monza und Monaco sind auch nicht schlecht. Ausserdem sind an all diesen Strecken viele Fans. Grosse Zuschauermengen und ein umfangreiches Rahmenprogramm sorgen für eine tolle Atmosphäre. Das und eine anspruchsvolle Strecke für Fahrer und Ingenieure - diese Punkte gehören für mich alle dazu."

Was sagt Deine Familie/Freund(in) oder dein Freundeskreis zu Deinem Job in der Formel 1 und dazu, dass Du so viel unterwegs bist?

Meine Freundin ist sicher nicht immer glücklich, aber sie kommt damit sehr gut zurecht. Als wir uns kennen lernten, habe ich schon dieses Leben geführt, daher stand das nie wirklich in Frage. Sie unterstützt mich fantastisch, worüber ich sehr glücklich bin. Was meine Freunde betrifft, hat sich eigentlich nichts verändert, auch wenn ich weniger Zeit habe. Selbst wenn wir uns lange Zeit nicht gesehen haben, ist alles wie früher. Das war schon so, als ich nach meiner Zeit in Berlin bei Mücke zurückgekommen bin. Ich werde auch immer wieder eingeladen, obwohl ich leider oft absagen muss. Ich bin da wirklich in einer glücklichen Situation und meinen Freunden dafür sehr dankbar, denn ich kann leider nicht besonders viel dazu beitragen. Zwei, drei meiner Freunde interessieren sich sehr für die Formel 1 und sprechen mich auch darauf an, aber es ist nicht ständig ein Thema. Das ist auch gut so.

Welche drei persönlichen Gegenstände begleiten dich zu jedem Rennen?


Mein Pass. Das Firmentelefon. Hm. Ehrlich gesagt gibt es nichts besonderes, das ich unbedingt mitnehmen muss. Ich habe keinen Glücksbringer oder so etwas.

Wo siehst du die Formel 1 in zehn Jahren?

Zuerst einmal denke ich, dass es die Formel 1 in zehn Jahren auf jeden Fall noch gibt. Die Formel 1 ist einfach da. Technisch glaube ich, dass es dann sicher kleinere Motoren, vielleicht noch mehr Hybrid und Technik gibt. Wenn das der Fall ist, könnten vielleicht auch irgendwann wieder CVT-Getriebe (stufenlose Umschlingungsgetriebe) wiederkommen. Damit könnte man das KERS besser benutzen, während geschaltet wird und noch mehr Energie zurück gewinnen. Mit dem aktuellen KERS verändert sich die Balance des Autos immer in dem Moment, wenn gerade geschaltet wird und die Kupplung offen ist, das macht das Fahrverhalten schwierig. Wie die Autos aussehen werden? Keine Ahnung! Vor zehn Jahren konnte ja auch keiner voraussehen, wie die Autos heute mal aussehen werden. Vielleicht gibt es sogar irgendwann mal geschlossene Cockpits, um Unfälle wie den von Massa zu verändern. Ich bin lediglich sicher, dass es noch vier Räder geben wird.

Was würdest du an der Formel 1 ändern, wenn Du könntest?

Ich würde versuchen, den Fans wieder mehr Möglichkeiten zu geben, den Fahrern und den Autos näher zu kommen. Vom technischen Aspekt her würde ich das Testen wieder erlauben und mir ausserdem mehr als einen Reifenhersteller wünschen. Und 19 oder 20 Rennen pro Jahr sind schon etwas zu viel. Ich würde auf 16 Rennen zurückgehen.

Wer ist in deinen Augen der beste Formel-1-Fahrer aller Zeiten?

Ayrton Senna. Aber eigentlich kann ich es nicht beurteilen, weil ich mit ihm nie zusammen gearbeitet habe. Vielleicht sehe ich ihn deswegen als besten Fahrer, weil ich gerade zu seiner Hochphase begonnen habe, mich für die Formel 1 zu interessieren. Ich glaube, er war der erste, der wirklich alles auf sich vereint hat und sehr nahe an der Perfektion war. Er hat sehr viel an sich gearbeitet: Fitness, technisches Wissen. Zumindest stelle ich mir das so vor. Vielleicht war er einfach nur viel viel schneller als alle anderen. Aus der relativ kurzen Zeit, die er hatte, hat er am meisten herausgeholt. Senna ist zu früh gestorben.

Wie genau sah dein Tagesablauf am letzten Sonntag aus?

Die Rennsonntage sind sich eigentlich relativ ähnlich. Man kommt etwa vier bis fünf Stunden vor dem Rennen an. Am Setup wird darf nach Reglement nicht mehr viel geändert, höchstens noch der Frontflügel. Dann schaue ich mir an, mit welchen Reifendrücken wir fahren und ob wir mit den weichen oder harten Reifen starten. Zum Beispiel ist es auch sehr wichtig, sich anzuschauen, auf welchen Reifen die Fahrzeuge vor und hinter uns starten und wie deren Reifensituation aussieht. Darauf basierend entwickle ich die Strategiemöglichkeiten, also ob wir zwei, drei oder vier Stopps planen. Und dann: Wann fangen wir jeweils an, die Reifen aufzuheizen und auf welche Temperaturen? Was sagt der Wetterbericht? Und wie sieht das Backup aus, wenn es im Rennen zum Beispiel in der ersten Runde Chaos gibt? Zu diesem Zeitpunkt wird auch entschieden, wie viele Runden wir in die Startaufstellung machen. Das hat Einfluss auf die Benzinmenge, die getankt werden muss, damit wir nicht zu schwer sind oder uns der Sprit zu früh ausgeht. Das alles passiert in unserem Besprechungsbereich im Sauber-Truck, den wir in Istanbul erstmals wieder dabei hatten und wird vor dem Rennen noch mal gemeinsam mit allen besprochen. Bereits am Sonntagvormittag plane ich auch schon die Getriebeübersetzung für das nächste Rennen, damit die neuen Gänge nach dem Rennen gleich eingebaut werden können, bevor das Auto transportiert wird. Eine halbe Stunde vor Rennstart geht es dann in die Startaufstellung. Da kann man eventuell noch mal den Reifendruck oder Frontflügel anpassen, und sonst ist es das. Zu dem Zeitpunkt ist eigentlich alles geklärt und der Fahrer kann sich konzentrieren. In der Einrollrunde führe ich Sergio und sage ihm, wo er anfangen soll, die Reifen aufzuheizen und was er am Lenkrad einstellen soll. Meine letzte Durchsage passiert, wenn das letzte Auto steht. Im Rennen spreche ich mit Sergio, ob die Balance okay ist und ob wir bei der Reifenstrategie bleiben können.

Was ist das erste, das du direkt nach Rennende machst?

Wenn die Zielflagge gefallen ist, kommuniziere ich mit dem Fahrer, führe ihn zurück und halte ihn an, Benzin zu sparen. Für mich ist es in dem Moment fertig, wo der Fahrer aussteigt. Ich gehe dann zu den Mechanikern und wir trinken ein Bier zusammen hinter der Box. Erst mal also ein bisschen relaxen. Etwa eine halbe oder eine dreiviertel Stunde nach dem Rennen machen wir das Debriefing. Das ist das letzte, was am Rennwochenende ansteht. Bei Europarennen fliegen wir etwa drei Stunden nach Rennende mit unserem Privatjet in die Schweiz, aber in Istanbul ging es erst am Montag mit einem Linienflugzeug zurück. Daher hatten wir genügend Zeit, noch darauf zu warten, bis das Auto aus dem Parc Ferme zurückkam und wir uns alles in Ruhe anschauen konnten.
zurückkam und wir uns alles in Ruhe anschauen konnten."
Wenn ich nicht in der Formel 1 arbeiten würde, würde ich wahrscheinlich...

Keine Ahnung. Es gibt keinen Plan B. Ich würde nichts anderes machen wollen. Wenn überhaupt, würde ich in einer anderen Motorsport-Serie arbeiten.

Welche typischen Schweizer Eigenschaften treffen auf Dich zu?


Wahrscheinlich Pünktlichkeit und Gründlichkeit. Ich hoffe, ich bin nicht langweilig (lacht;). Pünktlichkeit ist einfach ein Muss für ein Rennteam, ebenso Gründlichkeit und Zuverlässigkeit.

Wo trifft man dich an einem rennfreien Wochenende?

Beim Eishockey oder unterwegs mit dem Motorrad. Oder ich fahre Kutsche (lacht;)! Ich selber habe zwar kein Pferd, ich könnte mich zeitlich gar nicht darum kümmern. Aber über meine Freundin bin ich dazu gekommen. Sie hat ein Pferd und wollte letztes Jahr so eine Ausbildung machen, bei der man lernt, wie man Pferde richtig behandelt, wie viel Platz sie brauchen und so weiter. Ich war dann auch ein paar Mal mit und habe beschlossen, richtig daran teilzunehmen - wenn ich schon mal ein bisschen Zeit im Winter habe. Kutsche fahren ist super, um abzuschalten und mal was Ruhiges zu machen. Ich habe gehört, dass das Bier von Feldschlösschen noch mit der Kutsche gebracht wird. Vielleicht wäre das eine Idee für die zweite Karriere! Ausserdem verbringe ich gerne Zeit beim Eishockey. Von sieben bis 20 habe ich regelmässig gespielt, jetzt ist es mehr ein Zeitvertreib, ich spiele gelegentlich mit den Sauber-Jungs. Man kommt zwar nicht mehr auf den Level, den man mal hatte, aber es macht trotzdem Spass.

Welchen Ort im direkten Umkreis von Sauber kannst du empfehlen (Restaurant, Platz mit schöner Aussicht oder ähnliches im Zürcher Umland und Zürich)?

Ich mag den Bachtel, unseren Hausberg, der hat eine wunderbare Aussicht. Zum Skilaufen ist das Skigebiet Flumserberge perfekt. Und zum Wohnen: Ganz klar Bäretswil! Das ist sehr ruhig.

Was ist das bisherige Highlight in deinem Leben (privat oder beruflich)?

Montreal 2008.

Hast du eigene Rennsport-Erfahrung?

Nein. Früher bin ich mal RC-Modellautos gefahren. Ich war sogar Schweizer Vize-Meister und mit 20 Jahren EM-Siebter, wenn ich mich richtig erinnere. Während des Studiums bin ich leider davon abgekommen. Richtig selber fahren wollte ich eigentlich nie, ich hatte ja mein Eishockey. Mich haben immer mehr das Engineering und die Technik interessiert. Heute, nachdem ich so intensiv mit dem Fahrer zusammen arbeite, sehe ich das etwas anders. Es ist eben nicht nur die Technik ausschlaggebend, sondern der Fahrer muss damit auch umgehen können und sich wohlfühlen. Und wir versuchen, dazu unser bestes beizutragen.

15.5.2011