Geht Red Bull übers Limit hinaus?

Siegen mit Risiko:

Red Bull und Sebastian Vettel

"Wir sind ein grosses Risiko eingegangen", gestand Sebastian Vettel nach dem Red-Bull-Doppelsieg beim Grossen Preis von Belgien. Sein Team hatte sich in Spa-Francochamps nicht an die Setup-Empfehlungen von Reifenhersteller Pirelli gehalten.

Die Folge: Nach dem Qualifying entdeckten die Ingenieure an den Vorderreifen beider Autos alarmierende Zeichen für einen gefährlichen Reifenverschleiss. Bis kurz vor dem Rennstart berieten die Red-Bull-Verantwortlichen mit den Pirelli-Reifeningenieuren und den beiden Fahrern Vettel und Mark Webber, ob ein Start unter diesen Umständen sicher ist? Nachdem das Team mit dem Vorschlag gescheitert war, allen Fahrern die den letzten Qualifying-Durchgang erreicht hatten, ausnahmsweise einen Reifenwechsel vor dem Start zu erlauben, überlegte Red Bull sogar, die Set-up Einstellungen der Autos zu ändern und dafür einen Start aus der Boxengasse in Kauf zu nehmen. Am Ende entschied man sich dafür, das Problem bei einem frühen ersten Boxenstopp durch Anpassungen am Frontflügel und über den Reifendruck zu minimieren.

Vettel hatte ein unwohles Gefühl

Webber kam bereist in Runde fünf erstmals zum Reifenwechsel, Vettel zwei Umläufe später. Doch das Risiko für die Fahrer blieb offenbar unkalkulierbar. "Niemand im Team fühlte sich wirklich wohl damit", gab Teamchef Christian Horner zu. Vettel erklärte sich zwar bereit, das Risiko einzugehen – ganz wohl war dem 24-Jährigen dabei aber nicht. "Es war eine Fahrt ins Ungewisse", sagte Vettel. "Wir wussten nicht, ob das mit den Reifen gutgeht. Durch Eau Rouge und Blanchimont war immer ein unwohles Gefühl dabei."

In diesen beiden Hochgeschindigkeitskurven sind die Fahrer bis zu 300 km/h schnell – ein Reifenschaden in einer dieser Passagen hätte schwerwiegende Folgen. Wie groß die Unsicherheit und Anspannung auch bei den Teamverantwortlichen war, zeigte die Reaktion von Technikchef Adrian Newey, der nach der Zieldurchfahrt kurz weinte. "Adrian war wegen der Reifen ziemlich gestresst", erklärte Horner. "Er nimmt diese Verantwortung unglaublich ernst." Der Rest des Teams nicht?

Bei Pirelli ärgerte man sich jedenfalls mächtig über Red Bull. "Alles wird zum Sicherheitsthema, wenn du über Grenzen hinausgehst", wetterte Pirelli-Sportchef Paul Hembery. "Du musst dich darauf verlassen können, dass die Leute in diesem Sport professionell genug sind, nicht so weit zu gehen." Am Ende ging zwar alles gut, mehr noch, Red Bull wurde sogar mit einen Doppelsieg belohnt.

Doch rechtfertigt der Erfolg, das unkalkulierbare Risiko, dem das Team Vettel und Webber aussetzte? McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh kann es nicht verstehen, dass sich ein Team über die Sicherheitsvorgaben von Pirelli hinwegsetzt. "Es geht um die Sicherheit der Fahrer", betonte der Brite. "Wir verlieren dabei zwar etwas an Leistung, aber das ist der sichere Weg." Red Bull vertritt da offenbar eine andere Philosophie – bleibt für Vettel und Webber zu hoffen, dass das auch in Zukunft gut geht.

30.8.2011