Vettels Reifendefekt wohl nicht aufklärbar

Vettels defekter Reifen in Abu Dhabi

Pirelli hatte in der Comeback-Saison 2011 kaum Reifenschäden zu beklagen, die auf die Reifen direkt zurückzuführen waren. Wenn es einen platten Pneu gab, dann rührte der Schaden von Kollisionen oder anderen Umständen her. Der Reifenschaden an Sebastian Vetttels Red Bull in der zweiten Kurve in Abu Dhabi hat Pirelli und den österreichisch-britischen Rennstall vor Rätsel gestellt. Bislang konnte keine Ursache festgestellt werden. Paul Hembery, der Motorsport-Direktor der italienischen Reifenfirma, meint, dass man wahrscheinlich nie feststellen wird können, was zu dem Schaden rechts hinten geführt hat.

"Man kann 100 verschiedene Ideen haben, aber es ist einer dieser Situationen, wo man sich nicht ganz sicher sein kann. So wird es auch bleiben. Irgendetwas hat zum Luftverlust geführt, aber wir wissen nicht was", wird Hembery von 'Autosport' zitiert. "Manchmal kommt man der Ursache sehr nahe, weil man mehr Informationen zur Verfügung hat, oder man etwas klar sieht. Wir hatten eine Tasche mit unzähligen Teilen, die wir im Detail unter dem Mikroskop analysiert haben. Wir haben nichts gefunden, dass auf einen Fehler beim Reifen zurückzuführen war. Wir haben die Untersuchung gemeinsam mit Red Bull gemacht und sind zu diesem Schluss gekommen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Fehler vom Reifen ausging, abgesehen davon, dass irgendetwas ein Loch verursacht hat." Mit diesem Reifensatz ist Vettel bereits im Qualifying gefahren. Ausserdem hatte der Weltmeister in der Aufwärmrunde nichts Auffälliges bemerkt. Trotz des Schadens macht sich Hembery keine Sorgen für die Zukunft.

"Wir sind nicht beunruhigt. Wir hatten in dieser Saison ähnliche Probleme. Irgendetwas schlitzt den Reifen auf, oder sorgt für einen Schaden. Sehr oft sieht man die Ursache sehr genau. In dieser Situation hatten wir nicht soviel Glück. Man kann nichts dagegen tun, wenn etwas den Reifen aufschneidet. Wir versuchen die Reifen so widerstandsfähig wie möglich zu machen. Laut unserer Definition tritt ein Schaden auf, wenn der Reifen zu stark abgenutzt ist. Das war nicht der Fall." Pirelli hat bei Vettels Reifenschaden nicht ausgeschlossen, dass ein Fremdkörper die Ursache war. Genaue Beweise gibt es dafür aber nicht.

Reifendruck als Ursache?


Der erste Red-Bull-Ausfall in dieser Saison wegen eines technischen Gebrechens war in seiner Kuriosität kaum zu überbieten. Sebastian Vettel hatte sich nach dem Start in Abu Dhabi bereits einen kleinen Vorsprung herausgeholt, als in der zweiten Kurve - ein Linksknick - der rechte Hinterreifen platzte. Obwohl der Weltmeister seinen Boliden noch an die Box schleppte, war das Rennen für ihn zu Ende. Seitdem gibt es die kühnsten Theorien, was diesen Reifenschafen ausgelöst haben könnte: War es ein fehlerhafter Pneu von Pirelli? Löste ein Defekt an der Aufhängung den Schaden aus? Hatte Red Bull mit einem zu niedrigen Reifendruck experimentiert? War es der Unterboden, der den Reifen aufgeschnitten hatte? Oder lag es gar am Auspuff, der beim RB7 verdächtig nahe am Reifen angebracht ist?

Pirelli weist Schuld von sich

Bis heute gab es bloss Spekulationen - die Beteiligten hielten sich mit handfesten Beweisen und Untersuchungsergebnissen zurück. Doch nun weist Reifenhersteller Pirelli alle Schuld von sich. "Wir können versichern, dass ein struktureller Defekt am Reifen nicht die Ursache für Vettels Luftverlust in Abu Dhabi war", sagt Pirellis Motorsport-Chef Paul Hembery. "Zu diesem Schluss sind wir gemeinsam mit Red Bull nach detaillierten Untersuchungen und Analysen der Überreste des Reifens gekommen." Er geht auch nicht davon aus, dass Wrackteile den Zwischenfall ausgelöst hatten, auch wenn er dies nicht komplett ausschließen möchte. "Wir haben uns aber die Strecke genau angesehen und dafür gibt es keine direkten Hinweise." Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Red Bull bereits in Spa Probleme mit den Reifen hatte - damals setzte man sich im Qualifying über die empfohlenen Sturz-Grenzwerte von Pirelli hinweg. Die Reifen warfen rasch Blasen. Die darauf folgende Kritik Adrian Neweys an den italienischen Pneus stiess Hembery & Co. sauer auf. Die Angelegenheit ist deshalb so heikel, weil Pirelli dieses Jahr Reifen hergestellt hat, deren Haltbarkeit im Vergleich zu den Bridgestone-Gummis der vergangenen Jahre niedrig ist - dies gestaltet die Rennen spannender, sorgte aber bei vielen Piloten für Unmut. Um ein PR-Desaster zu vermeiden, bat Pirelli die Teams, sich mit öffentlicher Kritik zurückzuhalten, da man im Sinne der Formel 1 agiere.

Spekulationen um Auspuffsystem und Unterboden

Die Aussagen von Pirelli-Motorsport-Chef Hembery deuten an, dass Red Bull selbst für den Vettel-Unfall verantwortlich zeichnet. Noch gibt es aus Milton Keynes aber keine Erklärung. Schon am Sonntag schloss man aus, dass die Felge den Reifenschaden verursacht hatte. Vielmehr zerstörte der Reifenschaden die Aufhängung. Auch die Heckpartie des RB7 geriet nach dem Rennen als möglicher Auslöser unter Verdacht: Bei einigen Teams hatte der scharfe Unterboden Spuren an den Reifen hinterlassen. Zudem geriet das Red-Bull-Auspuffsystem als mögliche Ursache ins Visier. Die Auspuffgase treten beim RB7 sehr nahe am Hinterreifen aus und werden auf und unter den Diffusor geblasen. Durch die Temperaturen könnte der Reifen in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Fragwürdig ist allerdings, warum dies bei den bisherigen Rennen nie geschah und es auch in den Trainingssitzungen oder beim Teamkollegen Mark Webber zu keinen Problemen gekommen war.

Die Reifendruck-Theorie

Eine plausiblere Theorie dreht sich um den Reifendruck. Auffällig ist, dass sich Vettel bei den Rennen in dieser Saison meist in den ersten Runden ein Sicherheits-Polster verschafft und seinem ersten Verfolger um mehr als eine Sekunde davonzieht. Das hat zur Folge, dass dieser nicht in den Genuss kommt, den Heckflügel in der DRS-Zone flacher zu stellen und so zu einer Bedrohung wird. Auch in Abu Dhabi war offensichtlich, dass Vettel nach der ersten Kurve bereits einen kleinen Vorsprung auf Hamilton hatte, als der Reifenschaden passierte. Dies lässt sich möglicherweise mit einem niedrigen Reifendruck erklären, der beim Pneu für eine grössere Auflagefläche sorgt. McLaren-Geschäftsführer Jonathan Neale meint gegenüber der 'BBC', dass auch das Risiko eines Reifenschadens grösser ist: "Natürlich bewegt sich der Reifen bei einem niedrigen Reifendruck viel mehr, aber das ist reine Spekulation."

Suche nach Unfallursache gestaltet sich schwierig

Das ist aber nur in den ersten Runde der Fall, denn durch die steigende Betriebstemperatur steigt auch der Reifendruck, wie Neale bestätigt: "Zu Beginn des Rennens sind es ein bis zwei Psi. Aber wenn sich der Reifen aufheizt, steigt der Druck und dann nähert man sich dem optimalen Druck an, mit dem das gesamte Wochenende über getestet hat." Der Reifendruck wird von auch von Sensoren überwacht, weiss der McLaren-Geschäftsführer. Dennoch ist ihm klar, dass es schwierig ist, dem kuriosen Zwischenfall auf den Grund zu gehen: "Es gibt rund 120 Sensoren an einem Auto. Die meisten Autos besitzen auch Reifendruck-Sensoren, die sehr schnell reagieren. Wenn die Luft aber so plötzlich entweicht, dann ist es wirklich schwierig herauszufinden, wann das Auto weggerutscht ist und wann der Reifen platzte. Ich weiss nicht, was dort passiert ist."

18.11.2011