Briatore schreibt Ferrari für 2012 ab

In Monza machte sich Flavio Briatore

bei den Roten aus Maranello ein Bild

Ex-Renault-Teamchef Flavio Briatore fürchtet auch in der kommenden Saison eine Dominanz von Sebastian Vettel und Red Bull in der Formel 1 - und viel Langeweile. "Seit ihn nicht einmal mehr Webber unter Druck setzen kann, ist es ein bisschen langweilig geworden", sagt er gegenüber dem Radiosender 'La Politica nel Pallone'.

Er führt die Überlegenheit des Doppel-Weltmeisters auf den Umgang mit den Reifen zurück: "Er holt die bestmögliche Performance aus den Reifen, was Mark nicht schafft. Ich kann es gar nicht erwarten, dass die WM endlich vorbei ist - ich glaube aber nicht, dass es nächstes Jahr sehr anders laufen wird." Und das, obwohl die Ferrari-Truppe längst die Messer wetzt und für die kommende Saison ein innovatives Auto angekündigt hat, mit dem der Briatore-Pilot Fernando Alonso um den Titel kämpfen soll.

Briatore: Ferrari trotz Alonso zu schwach

"Um die WM wieder spannend zu machen, müsste man Red Bull eine halbe Sekunde wegnehmen und sie Ferrari geben - das kann man aber nicht tun", meint der Italiener. "Solange sie die Regeln nicht ändern, wird es nächstes Jahr exakt gleich laufen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie den Rückstand auf Red Bull und McLaren in nur zwei Monaten aufholen sollen." Dabei haben die Roten aus Maranello laut Briatore mit Alonso "einen der besten Fahrer in den eigenen Reihen. Einen, der nie aufgibt - aber Ferrari muss eine Sekunde aufholen", zweifelt er an der Durchschlags-Kraft des erfolgreichsten Formel-1-Rennstalls der Geschichte. "Wenn Fernando ein Auto hat, das drei bis vier Zehntelsekunden langsamer ist als die anderen, dann kann er immer noch Rennen gewinnen", glaubt Briatore - und verpasst seinem Expiloten Michael Schumacher einen Seitenhieb: "Als Schumacher uns verließ, holte er den WM-Titel nur mit einem Siegerauto." Trotz Alonso Fähigkeiten traut er es Ferrari aber nicht zu, ihm ein adäquates Auto hinzustellen, mit dem er um den Titel kämpfen kann: "In 17 Jahren habe ich kein Team gesehen, das in nur zwei Monaten einen Rückstand von sechs bis sieben Zehnteln aufgeholt hat."

Briatore fordert einheitliche Autos

Den Ferrari-Rivalen aus Milton Keynes wirft er vor, gegen das Ressourcen-Restriktions-Abkommen zu verstossen: "Bei Red Bull sagen sie, dass finanzielles Fairplay nicht ihr Problem ist. Seit das Team gewinnt, haben sie Sponsoren gefunden und das Team ist gut finanziert. Sie haben den besten aerodynamischen Ingenieur im Business und Windkanäle, die für sie perfekt eingerichtet wurden." Briatore hat einen Vorschlag, wie man in der Formel 1 für mehr Spannung sorgen könnte und fordert einmal mehr ein Rennen in Einheits-Autos: "Setzt die besten sieben Fahrer in sieben GP2-Autos und dann schauen wir mal, wie die Formel 1 plötzlich aussieht - es wäre fantastisch. Alle Autos sollten mehr oder weniger gleich sein, denn Budgets in Höhe von 200 bis 300 Millionen sind verrückt. Jeder sollte die gleichen Teile haben - die Teams sollten nur mehr ganz wenig Platz für ihre Kreativität haben."

Briatore: "Vettel ist nicht der Beste"


Flavio Briatore hält auch nach dem zweiten Weltmeistertitel an seiner Meinung über Sebastian Vettel fest. "Er ist nicht der Beste. Wenn jeder im gleichen Auto fahren würde, dann wäre Vettel hinter Fernando Alonso und auch hinter Lewis Hamilton", so der Italiener gegenüber 'Corriere dello Sport'. Vettel sei "definitiv gut, aber er hat gewonnen, weil es ihm am besten gelungen ist, mit seinem phänomenalen Auto umzugehen." Bereits in der Vergangenheit machte der ehemalige Renault-Teamchef und Manager von Alonso und Vettel-Teamkollege Mark Webber kein Geheimnis daraus, dass er kein Fan des jüngsten Doppel-Weltmeisters der Formel-1-Geschichte ist. Der Italiener argumentierte, dass Vettel im Team von Red Bull gegenüber Webber deutlich bevorteilt wird. Alonso war für Briatore ohnehin stets einsame Klasse. Inzwischen erkennt der einstige Erfolgs-Teamchef aber an, dass Vettel im Qualifying grossartige Leistungen bringt: "Über eine Runde sehe ich ihn auf der Pole-Position, Hamilton ist Zweiter und Alonso Dritter." Der Red-Bull-Pilot hat bisher in dieser Saison zwölf Pole-Positions geholt und greift nun den Rekord von Nigel Mansell mit 14 Poles in der Saison 1992 an.

"Nicht der Fahrer ist der Star, sondern das Auto"


"Vettel kann mit diesem Auto gar nichts falsch machen. Es ist allen anderen weit überlegen", sagt der ehemalige Formel-1-Teamchef Flavio Briatore. Der Italiener sieht darin ein grundlegendes Problem der Königsklasse, denn in den vergangenen Jahren sind die Rennwagen immer komplexer geworden, gleichzeitig kann der Fahrer im Cockpit immer weniger in Eigenregie den Unterschied ausmachen. Wie Briatore bei 'Bild.de' erklärt, handelt es sich dabei um eine Situation, welche die Verantwortlichen dringend korrigieren sollten. "Was kümmert es den Fan, ob ein Auto eine Doppelkupplung oder sonst einen Schnickschnack hat, den er sowieso nicht versteht? Dem Fussball-Fan ist es doch auch egal, ob der Torschütze grüne, gelbe oder blaue Schuhe trägt, er will Tore sehen", erläutert der 61-Jährige.
In der Formel 1 sei es nicht anders - den Zuschauern gehe es einzig und alleine darum, spannende Rennen zu sehen. Dies werde den Fans in diesem Jahr zwar geboten, "aber der Fahrer muss wieder der Star sein", findet Briatore und merkt an: "Es geht genauso gut mit maximal 100 Millionen US-Dollar Budget pro Topteam." Die Kosten in der Formel 1 seien nach wie vor unverhältnismässig hoch. "Das Auto ist in der heutigen Zeit mit so viel Technik vollgestopft, dass nicht mehr der Fahrer der Star ist, sondern das Auto. Deshalb ist die Formel 1 viel zu teuer geworden", erklärt Briatore die Situation aus seiner Sicht. "Die Techniker und Ingenieure wollen ihr ganzes Know-how in ein solches Auto stecken und verbraten so 200, 300 Millionen US-Dollar für ein Team", hält der frühere Teamchef fest.

Briatore: "Red Bull erinnert an Benetton"


Als Flavio Briatore 1989 in die Formel 1 kam, hatte er bis dahin nur wenig Fachwissen über den Motorsport. Durch die Erfolge des charismatischen Italieners wurde dessen Existenz in der Formel 1 aber nach einer gewissen Zeit nicht mehr hinterfragt. 1994 ermöglichte der 61-Jährige den ersten Fahrertitel von Michael Schumacher und erkennt nun Parallelen bei Sebastian Vettel. Der Weltmeister von 2010 ist in der laufenden Saison noch stärker als im Vorjahr und hat seinen Teamkollegen Mark Webber absolut im Griff. Briatore erklärt im Interview mit 'Autobild motorsport': "Wenn du die Nummer eins auf dem Auto hast, startest du auch mit der Nummer eins im Kopf in die Saison. Sebastian hat ein Jahr mehr Erfahrung, viele Extremsituationen, Höhen und Tiefen erfolgreich durchgestanden. Und er kennt das Auto jetzt noch besser. Ausserdem arbeiten er und Mark Webber besser zusammen als im vergangenen Jahr. Und das Team macht weniger Fehler", analysiert der ehemalige Benetton-Teamchef. "In jedem Sport gibt es eine Nummer eins. In der Formel 1 ist das derzeit Sebastian. Aber Mark kämpft immerhin um WM-Platz zwei. Das ist auch eine Leistung, die man nicht unterschätzen sollte. Michael Schumachers Copiloten haben das nicht immer geschafft."

Damals bei Benetton...

Webber, der von Britatore gemanagt wird, ist nach seinem Ausfall von Monza nur noch WM-Vierter. "Mark fordert Sebastian und das Team lässt ihn auch. Schumachers Teamkollegen konnten ihn nicht fordern", vergleicht Briatore und erinnert sich an die Zeit bei Benetton: "Wir waren ein vergleichsweise kleines Team. Da musstest du dich auf einen Fahrer konzentrieren. Wir hatten einen für die Fahrer- WM und einen, der zusätzlich Punkte für die Konstrukteurs-WM einfahren sollte. Red Bull muss das nicht und tut es auch nicht." Auch im kommenden Jahr werden Vettel und Webber für Red Bull fahren. Wie es 2013 weiter geht, ist ungewiss. Es ist anzunehmen, dass der Australier seine Karriere beenden wird. Vettel bleibt dem Team aber bis 2014 erhalten. Die Vertragsverlängerung erfolgte in Monza. "Der Junge hat damit alles richtig gemacht", ist sich Briatore sicher. "Ausserdem ist das Team gut zu ihm. Mich erinnert Red Bull dabei so ein bisschen an Benetton früher - nur mit viel mehr Geld. Die Mentalität ist die gleiche. Dietrich Mateschitz hat seine Formel-1-Vision bravourös umgesetzt. Dafür hat er all meinen Respekt. Denn es ist nicht nur das Geld. Es gab schon Teams, die haben zehnmal so viel investiert wie Red Bull und haben trotzdem nie gesiegt", schildert Briatore. Geld war neben den Querelen bei Benetton ein entscheidender Grund, warum Schumacher 1996 bei Ferrari landete. Briatore blickt zurück: "Wäre er geblieben, hätten wir auch 1996 die WM gewonnen. Deshalb war es auch aus seiner Sicht ein Fehler, uns so schnell zu verlassen. Er hätte das, was wir zusammen aufgebaut haben, noch länger auskosten können. Das macht Vettel jetzt besser."

Zeiten ändern sich

In der Saison 1996 ging Benetton mit Jean Alesi und Gerhard Berger an den Start. Man erhoffte sich eine Fortführung der Erfolge. Doch die Fahrerpaarung hatte grosse Probleme mit dem aggressiven, auf Schumacher abgestimmten Auto. Am Ende wurde man bei den Konstrukteuren Dritter und holte bei den Fahrern die Positionen vier und sechs. 1997 wurde es nicht besser und Briatore zog sich zurück. Anfang 2002 sass er aber wieder am Kommandostand. Mit Fernando Alonso züchtete sich Briatore einen Siegfahrer heran, der 2005 und 2006 die WM gewinnen konnte und nun, genau wie Schumacher in den 1990ern, in einem roten Auto sitzt. "Michael hat Senna schlagbar gemacht. Aber Fernando hat ihn schlagbar gemacht. Vettel macht nun Fernando schlagbar. Die Zeit bleibt nicht stehen", so Briatore. Da Vettel sich bis 2014 an Red Bull gebunden hat, ist ein Wechsel zu Ferrari vorerst kein Thema. "Ferrari ist natürlich ein faszinierendes Team. Aber er sollte dahingehen, wo er gewinnen kann. Das kann er derzeit bei Red Bull. Und nicht zu vergessen: Bei Ferrari hätte er als Fahrer eine grosse Verantwortung. Der Druck ist viel höher. Fernando hält dem nur stand, weil er schon reifer ist", so Briatore.

2.11.2011