Vettel: Muss an Kinokasse Ausweis zeigen

Der Red-Bull-Pilot über seine erste Pole

in Singapur

Vettel über Glocks mutige Wette auf ihn, warum der Kurs so besonders und das Rennen so hart ist.

Frage: Nun hast du es geschafft, deine erste Pole hier in Singapur!


Sebastian Vettel: Wir und ich sind sehr glücklich, vor allem nach dem vergangenen Jahr. Damals war die Pole in Reichweite, wir haben sie lediglich knapp verpasst. Das war heute die gute Antwort, die wir geben konnten. Wir hatten schon ein gutes Training und konnten es im Qualifying bestätigen. Wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Das Auto scheint hier sehr gut zu sein. Auf jedem Versuch habe ich mich sehr wohl gefühlt. Zudem hat sich die Strecke am Ende etwas verbessert. Das hier ist alles andere als eine einfache Strecke. Es gibt hier viele Kurven. Es ist eine der größten Herausforderungen, alle Kurven und Sektoren zusammen zu bekommen. Aber wir schienen damit ganz gut zurechtgekommen zu sein. Ich habe mich wohl dabei gefühlt, das Auto an das Limit zu bekommen.

Erzähle uns etwas über die Strecke und die Befriedigung, hier auf der Pole zu stehen. Ich kann mir vorstellen, dass dies noch befriedigender ist als auf jeder anderen Strecke.

Ja, in gewisser Weise ist es das. Für uns ist es eine aussergewöhnliche Strecke. Entweder du magst sie oder du hasst sie. Meiner Meinung nach ist es das Geheimnis, dass sie ein wenig von beidem ist. Es ist eine sehr lange Strecke, es gibt eine Menge Kurven. 23 Kurven, das ist nur eine Zahl, aber im Vergleich zu anderen Strecken ist das schon unglaublich. Beim vergangenen Rennen hatten wir elf. Es sind also doppelt so viele Kurven und es ist eine lange Runde. Die Geschwindigkeit ist ziemlich gering, was man auf einem Strassenkurs auch erwartet. Es ist wirklich Stop-and-Go, aber dennoch ist es so schwierig. Es ist eine Herausforderung, jede einzelne Runde hinzubekommen. Man versucht, das Maximum aus dem Auto herauszuholen, aus den Reifen, dann ist es ein Geben und ein Nehmen. Man versucht ein wenig mehr aus dem Auto herauszuholen, und hier und da muss man in der folgenden Kurve ein Opfer geben, vielleicht für die folgende Gerade. Man muss also eine Menge nachdenken, und es ist schwierig, wenn man wirklich mit dem Auto am Limit unterwegs ist, es in jeder Kurve 100-prozentig hinzubekommen. Das geht wirklich so von einer bis zur nächsten Kurve. Aus diesem Grund ist die Befriedigung, die man hat, wenn man über die Ziellinie kommt, generell groß, wenn du weißt, dass es eine gute Runde war. Und es ist anders herum, wenn du weißt, dass es keine gute Runde war. Man weiss, dass man so viel besser hätte sein können. Es ist sehr schnell passiert, dass man Zeit verliert. Und das sind dann nicht nur ein paar Hundertstelsekunden. Es sind sofort ein paar Zehntelsekunden, die man verliert. Es ist also eine schöne Herausforderung."

Dies ist eine weitere Strecke, von der viele Experten im Vorfeld gesagt haben, dass es ein Kurs ist, der euch nicht besonders gut liegt...

Wenn sie sagen, dass es so ist, dann versuchen wir natürlich zu beweisen, dass sie falsch liegen. Heute haben wir das gemacht. Morgen ist ein anderer Tag, das müssen wir da erst noch erledigen. Es wird ein langes und hartes Rennen. Wir sind hier die Schnellsten, also haben wir eine gute Chance, das Rennen zu gewinnen. Es ist ein langes Rennen, da musst du auf deine Reifen und dein Auto hören. Das Rennen dauert fast zwei Stunden, es ist das längste der Saison, und es ist auch sehr heiß her. Es ist 30 Grad warm, die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, du sitzt im Auto, hast den Rennoverall und die Unterwäsche an, trägst seinen Helm. Da stellen wir definitiv sicher, dass wir nicht frieren! Man verliert eine Menge Wasser, es besteht die Gefahr, dass man dehydriert. Man muss sich auf jeden Fall vorbereiten. Wir werden sehen, wer als erstes müde wird - ich hoffe, dass das nicht ich sein werde! Es wird hart, aber es ist eine großartige Herausforderung auf einer harten und sehr unebenen Strecke. Das genieße ich sehr!

Du hast dir die Pole in Monaco, Valencia und nun auch hier geholt. Bedeutet dies, dass du auch ein Straßenkurs-Spezialist bist?

Ich weiss es nicht. Das Rennen ist morgen, das war heute ein kleiner Schritt. Es wird ein langes Rennen, natürlich ist es gut, in der ersten Reihe auf der sauberen Seite zum ersten Mal in den vergangenen drei Jahren zu stehen. Ich freue mich darauf. Und ja, der Weg bis zur ersten Kurve ist nicht allzu lang. Aber ich benötige dennoch einen guten Start. Es ist ein langes Rennen, aber ich habe Strassenkurse schon immer gemocht. Meiner Meinung nach verleihen diese dem Fahrer eine grössere Möglichkeit, die Limits hier und dort hier auszuschöpfen. Aber besonders hier ist es anders als in Monaco und besonders anders im Vergleich zu Valencia. Sie sind alle ziemlich unterschiedlich, aber machen alle viel Spass.

Du hast gestern gesagt, dass ihr über Nacht einen guten Schritt machen müsst. Was habt ihr unternommen, und wie viel habt ihr verändert?

Nun, das Ziel ist es immer, das Auto über Nacht zu verbessern. Ich war gestern mit dem Auto schon ganz zufrieden, wir haben nicht allzu viel gemacht. Die Schritte, die wir durchgeführt haben, waren ein Schritt nach vorn. Nicht massiv, aber womöglich so, um diesen Vorsprung zu halten. Alles in allem war ich auf dem härteren Reifen und auch auf dem weichen Reifen sehr glücklich. Der Vormittag war etwas unausgewogen, da ich in eine Menge Verkehr kam und die Runde nicht zusammen bekam. Aber heute Nachmittag war der erste Versuch auf den härteren Reifen eine Bestätigung dafür, dass wir auf dem superweichen Reifen es auch schaffen können. Wir sind also für morgen ganz zuversichtlich. Es wird ein langes Rennen, da geht es nicht nur um die Geschwindigkeit. Es geht auch um Kontrolle und das Haushalten mit den Reifen. Im Moment denke ich, dass es noch unklar ist, welches der schnellste Weg sein wird, das werden wir morgen aber herausfinden.

Hattest du dir im Qualifying von den Gegnern mehr erwartet?

Nein, ich war mir in etwa sicher, dass wir eine gute Chance haben, um die Pole mitzukämpfen. Wie, weiss man natürlich nicht genau, da normalerweise alle freitags und samstags ihr Programm abspulen. Aber mit der Zeit lernt man ein bisschen und kann es etwas einschätzen. Deswegen hatten wir schon auf der Rechnung, dass wir eine faire Chance haben, ganz vorne mitzufahren. Ich bin über die Abstände am Ende ein bisschen überrascht. Ich denke, dass es morgen deutlich enger wird.

Machst du dir Sorgen darüber, dass das Safety-Car zum Einsatz kommen könnte? Schliesslich war es auf dieser Strecke bisher in jedem Rennen im Einsatz...

Das bereitet mir nicht wirklich Sorgen. Man kann nicht darauf zählen, dass das Safety-Car auf die Strecke kommt. Das wäre schön, denn dann könnte man weniger Benzin in das Auto füllen. Natürlich ist es ein Strassenkurs, und wenn zwei Fahrer nicht dieselbe Meinung darüber haben, wer als Erster in die Kurve einbiegt, dann kann man sich berühren und abfliegen. Und hier gibt es einfach keinen Platz. Es ist also wahrscheinlich, dass das Safety-Car auf die Strecke kommen muss. Es gibt eine echte Chance, denn wie du schon gesagt hast, war das Safety-Car bisher in allen Rennen im Einsatz. Aber wir machen uns darüber keine Sorgen. Es kann immer für oder gegen dich laufen. Aber mit den Regeln, die wir dieses Jahr haben, sollte es mehr oder weniger für alle dasselbe sein.

Ich habe gehört, dass du als Junge das Rennen in Suzuka gesehen hast, was dich inspiriert hat, ein Formel-1-Fahrer zu werden. Welche Erinnerungen hast du an dieses Rennen?

Da war ich ein kleiner Junge. Mein Vater war ein grosser Formel-1-Fan. Damals wie heute war Suzuka einer der Höhepunkte. Die japanische Kultur und die japanischen Fans sind einfach anders. Man kann das auch spüren, wenn man Fernsehen schaut. Es gibt wohl ein paar Rennen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, dass ich sie mir live angeschaut habe. Aber ich kann mich an die Zwischenfälle erinnern, vor allem jene, in die Ayrton Senna und Alain Prost verwickelt waren. Alles in allem ist es eine fantastische Strecke. Der erste Sektor ist phänomenal, meiner Meinung nach kann man beim Design einer Strecke keine bessere Arbeit leisten als in Suzuka.

Hoffst du, dass du dort gewinnen kannst?

Das hoffe ich, aber das kann ich natürlich nicht garantieren. Suzuka ist immer eine schwierige Herausforderung. Aber die vergangenen zwei Jahre waren fantastisch, wir werden es wieder probieren.

Du strahlst die Gelassenheit eines Routiniers aus. Wie machst du das?

Ich bin schnell gealtert. An der Kinokasse und beim Bier kaufen glaubt mir das zwar keiner, da muss ich immer noch meinen Ausweis zeigen! So ist es halt.

Es sieht bei dir im Moment alles auch einfach sehr leicht aus - wie machst du das?

Spass macht es auf jeden Fall, aber leicht ist es nicht. Nein, ich muss schon die Ohren anklappen und alles rausholen. Es sieht von aussen vielleicht alles schön und einfach aus, aber gerade hier ist man im Auto könnten am Ruder.

Wie gehst du das Rennen an? Kann man es vielleicht entspannter angehen, dass dies hier ein Stadtkurs ist und aus diesem Grund nicht so einfach überholt werden kann?

Das glaube ich nicht. Dieses Jahr haben wir mit dem Heckflügel die Möglichkeit, vielleicht zu überholen. Wir werden morgen sehen, wie einfach oder schwer es dann immer noch ist. Ich hoffe natürlich, dass ich damit nicht viel am Hut habe und es brauchen werde. Man kann es aber nie wissen. Ich denke, dass es nicht unmöglich ist. Natürlich ist es auf einem Stadtkurs immer schwieriger, da es einfach enger ist und meistens neben der Ideallinie auch sehr schmutzig ist.

Timo Glock hat schon vor langer Zeit eine beträchtliche Summe auf einen Weltmeister Sebastian Vettel gesetzt. Ist denn morgen schon Zahltag?

Ich habe schon versucht herauszufinden, wie viel er gesetzt hat. Das zeigt einfach, ob er Vertrauen hat oder nicht. Es ist aber nicht der Antrieb, morgen ins Rennen zu gehen. Wir wollen morgen ein sehr gutes Rennen haben, das Beste rausholen. Natürlich wären wir alle überglücklich, wenn es morgen schon passiert. Am Anfang des Jahres haben wir uns das Ziel gesetzt, dass es passiert. Und das sollten wir auch so beibehalten und uns nicht um das man kümmern. Es ist wie gesagt morgen ein langes Rennen, es wird nicht einfach. Ihr habt die ganzen Zahlen vorliegen und wisst, wie es aussieht. Also würde ich sagen, dass ihr rechnet und wir konzentrieren uns aufs Fahren.

Kurz vor Schluss hat sich dein Teamkollege und Rivale Mark Webber noch auf den zweiten Platz geschoben. Bei diesem Ergebnis würde es morgen also nicht zum Titel reichen. Würde er sich morgen mit so etwas im Rennen bei dir einen Satz roter Ohren einholen?

Nein. Morgen ist ein langes Rennen, es kann viel passieren. Es ist eine der schwierigsten Strecken des Jahres. Es ist mit Abstand das längste Rennen, es liegt also eine lange Reise vor uns. Es gibt viele Möglichkeiten, wie das Rennen ausgehen könnte, für uns oder gegen uns. Wichtig ist, dass wir morgen das Beste daraus machen. Heute haben wir die beste Ausgangsposition geschaffen. Darauf und damit können wir stolz und zufrieden sein. Aber die wirkliche Aufgabe und Herausforderung wartet morgen auf uns.

Aber diese Dunkelheit lässt schon Erinnerungen an Abu Dhabi aufkommen, oder?

Ja. So lange die Lichter eingeschaltet sind, ist alles gut. Natürlich haben wir immer ein bisschen Angst, dass ein Licht ausfällt. Aber bisher ist noch nichts passiert. Ich glaube, es gibt auch Notstromgeneratoren, sollte das passieren. Alles in allem ist es eine sehr schöne Veranstaltung, die Atmosphäre hat etwas ganz Eigenes. Abu Dhabi ist nochmal ein bisschen anders, es ist jedes Mal ein schönes Rennen.

25.9.2011