Fehlt es Hamilton an Nestwärme?

Unfälle, Aggression und Strafen:

Lewis Hamilton (im Bildzusammen mit seinem Vater) hat sich nicht beliebt gemacht

Die teils wilde Fahrweise von Lewis Hamilton hat in diesem Jahr schon oft für Kleinholz, Strafen und Diskussionen gesorgt. Vor allem nach dem Rennwochenende in Singapur steht der Weltmeister von 2008 wieder erheblich in der Kritik. Hamilton hatte am Samstag ein zweifelhaftes Manöver im Qualifying gefahren, am Sonntag folgte der Unfall im Rennen. In beiden Fällen der Geschädigte: Felipe Massa. "Er kann sein Hirn nicht einmal im Qualifying einschalten", tobte der Brasilianer, der nach dem rennen aufgebracht war.

"Es ist Lewis, dem immer wieder so ein Scheiss passiert. Ich verstehe das nicht, aber das geht jetzt schon das ganze Jahr so", wundert sich Marc Surer. Aus Sicht des Schweizers macht der Brite zurzeit viel zu viele Fehler. Ähnlich sieht es Massa-Teamkollege Fernando Alonso, der jedoch angesichts des Drucks, der auf Hamilton lastet, auch Verständnis aufbringt. "Es lastet dermassen viel Druck von Team, Sponsoren, Partnern und auf den Schultern", sagt der Spanier. Alonso, der in seiner Zeit als McLaren-Teamkollege von Hamilton nicht gerade eine Freundschaft mit dem Briten schloss, hält den bisherigen Karriereweg des McLaren-Piloten für ursächlich. "Wenn du in die Formel 1 kommst, dann hast du in unteren Kategorien viel gewonnen: in Karts, in der Formel 3 und dann in der GP2. Wenn es dann gleich in der Formel 1 auch dermassen gut läuft, dann bist du dir sicher, dass es immer so weitergeht. Alle Piloten denken so, denn alle haben in den kleineren Serien gewonnen", erklärt Alonso. "Es braucht seine Zeit, um zu realisieren, dass nur ein Fahrer gewinnen kann." Er halte seinen früheren Teamkollegen für einen talentierten Fahrer. "Er ist jetzt sicher noch besser als im Jahr 2008, als er den Titel holen konnte. Aber er hat jetzt vermutlich nicht das passende Auto, oder es fehlt an Glück - oder beides zusammen. Das geht mir auch so. Man muss aus solchen Phasen möglichst viel mitnehmen, um ein besserer Fahrer zu werden."

Aus Sicht des Asturiers liegt die Ursache für das sehr aggressive Verhalten Hamiltons allerdings nicht nur an den sportlichen Umständen. Es sei auch das private Umfeld dafür verantwortlich. Alonso hatte in einer ähnlichen Situation die Schweiz verlassen und war wieder in die spanische Heimat gezogen. "Ich habe mich gefragt, warum ich nur alle zwei Monate für eine Woche Urlaub dorthin konnte. Ich habe meine Familie vermisst und all das, was damit zusammenhängt." Könnte Hamilton, der aktuell seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, ein solcher Schritt womöglich helfen? Ja, meint Anthony Hamilton. Auch der Vater des Formel-1-Piloten sieht die Gründe für das rüde Vorgehen des Piloten im Umfeld. Der Senior, der seinen Sohn viele Jahre als Manager intensiv betreute, hat das Management des McLaren-Piloten als Ursache ausgemacht. "Jeder Pilot hat seinen persönlichen Manager - nur Lewis nicht", sagt Anthony Hamilton in der 'BBC'.

Der aktuelle Manager von Force-India-Pilot Paul di Resta ist davon überzeugt, dass Formel-1-Fahrer persönlich betreut werden müssen - nicht anonym von wechselnden Mitarbeitern der Firma XIX von Simon Fuller, die derzeit für die Belange des Piloten verantwortlich ist. "Das Management ist zweifellos sehr gut, aber in der Formel 1 brauchst du bei all dem Druck eine intensive persönliche Betreuung. Es muss konstant ein und dieselbe Person um dich herum sein. Ich kenne keinen Fahrermanager, der einfach mal jemand anders schickt."

Der hohe Druck, die sportliche Enttäuschung und einige Ablenkungen führten aus Sicht von Hamiltons Vater zum Unfall in Singapur. "Das war ein ganz normaler Zwischenfall. Da steckte keine Absicht dahinter, oder irgendetwas anderes. Er hat nicht ihn hineingelenkt. Dass er dafür eine Durchfahrtsstrafe bekam, war grosses Pech. Typisch - was will man beim Namen Lewis Hamilton anderes erwarten als eine Durchfahrtsstrafe?"

Bei McLaren wird man die ungestümen Aktionen des Angestellten nicht gern sehen, aber man baut auch keinen zusätzlichen Druck auf. "Das Team liebt Lewis", sagt Teamchef Martin Whitmarsh in der 'BBC'. Immerhin kenne man den Piloten seit seinem elften Lebensjahr und habe eine feste Bindung aufgebaut. "Ganz eindeutig erlebt Lewis nicht gerade ein tolles Jahr. Er wird sich aber in den kommenden fünf Rennen aufrappeln und dann versuchen, den Titel im kommenden Jahr zu holen", so Whitmarsh.

27.9.2011