Zwischengas: Alle Schlupflöcher gestopft?

Auf Drängen von Ferrari, Sauber und HRT

soll das Konzept der aerodynamischen Nutzung von Auspuffgasen endgültig unterbunden werden

Das technische Konzept, Auspuffgase auch zu nutzen, um aerodynamischen Anpressdruck zu generieren, muss von den Formel-1-Teams ab 2012 wohl endgültig zu den Akten gelegt werden. Denn obwohl schon vor Wochen beschlossen wurde, den sogenannten angeströmten Diffusor zu verbieten, wurden erst jetzt (vermutlich) alle Schlupflöcher gestopft.

Laut Informationen von 'Autosport' hat die FIA im Oktober die Teams mittels technischer Direktive informiert, dass spezielle "Zwischengas"-Motorenmappings ab 2012 verboten werden sollen, um die Wirkungsweise von Auspuffgasen für die Aerodynamik zu minimieren. Das verärgerte jedoch einige Teams, die zu jenem Zeitpunkt mit ihren neuen Autos schon so weit waren, dass sie ihre technischen Konzepte wieder umkrempeln mussten.

Die Klarstellung sei "ein bisschen spät" gekommen, ärgerte sich McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh in Indien und kritisierte: "Einige haben ein bisschen Zeit, Geld und Arbeit verschwendet, aber es ist für alle gleich." Auch Renault-Teamchef Eric Boullier war vor zwei Wochen nicht begeistert: "Es ist schon zu spät. Einige Teams - unseres auch - haben bereits vor Wochen die Konzepte für die neuen Autos finalisiert. Wir müssen damit aufhören, die Regeln dauernd zu ändern."

Also, so berichtet 'Autosport', setzten sich die Teams dafür ein, zwar den geplanten Periskop-Auspuff einzuführen, um das Anströmen des Diffusors mit Auspuffgasen zu unterbinden, aber das sogenannte "Off-Throttle-Blowing" jenseits des Diffusors für besonders kreative Köpfe weiterhin zuzulassen. Doch zuerst beim Treffen der Formel-1-Kommission in Genf und nun erneut bei einem Treffen der Technischen Arbeitsgruppe in Abu Dhabi sprachen sich Ferrari, Sauber und HRT dagegen aus.

Die Auswirkungen dieser (sehr späten) Entscheidung für die Entwicklung der 2012er-Autos ist nicht unerheblich, denn beim "Zwischengas"-Prinzip wurde vom Motor auch Benzin verbrannt, wenn der Fahrer nicht auf dem Gas stand. Das bedeutet, dass der Benzinverbrauch nun sinken wird, was wiederum dazu führt, dass die Tanks bei einigen Teams zu gross (und damit aerodynamisch ungünstig) konzipiert sein könnten.

Neale über den Diffusor: Mehr als nur heisse Luft


"Heisse Luft" stand in den vergangenen Wochen und Monaten im Fokus der Aufmerksamkeit in der Formel 1, denn die meisten Teams bedienen sich eines auspuffangeströmten Diffusors, der den Abtrieb der Rennwagen verbessert. Dem Automobil-Weltverband (FIA) war die Konfiguration der Systeme allerdings ein Dorn im Auge, weshalb es zuletzt zu einigen Regeländerungen kam. Nach einer kuriosen Episode in Silverstone, als Situation um das Zwischengas-Motorenmapping während des Wochenendes überaus intensiv diskutiert wurde, lenkte die FIA ein und kehrt zu den Regeln zurück, wie sie seit Valencia Bestand haben. Für die Teams bedeutet ein "Schlingerkurs" wie dieser nichts anderes als ein Mehr an Arbeit, wie Jonathan Neale erklärt. "In den vergangenen sechs Wochen spielte das eine große Rolle in unserer Planung. Es ist sehr schwierig, vorherzusehen, was passieren wird. Du kannst im Prinzip ja nur auf Basis der jeweils jüngsten Entscheidung arbeiten", sagt der Team-Geschäftsführer von McLaren. Hinzu komme: Jede noch so kleine Veränderung habe große Auswirkungen auf den Aufwand eines jeden Rennstalls.

"Was auch immer wir beispielsweise im Zusammenhang mit dem auspuffangeströmten Diffusor mit den Einstellungen des Motors anstellen, wir müssen die Zuverlässigkeit überprüfen. Diese Thematik hat schliesslich auch Auswirkungen auf das Triebwerk an sich", gibt Neale zu Protokoll. "Das heisst: Wenn wir ein paar Faktoren verändern, müssen wir eigentlich mit Mercedes auf den Prüfstand gehen." Dabei gehe es dann darum, "die Lebensdauer sowie den Spritverbrauch" des Motors zu checken. "Verändern sich die Regeln danach erneut, beginnt das Spiel von Neuem", meint der Brite. "Das Auto erhält durch diese Änderungen ausserdem eine andere aerodynamische Charakteristik. Verändern wir die Anströmung des Diffusors, dann verändern wir nämlich zugleich die gesamte Fahrzeug-Balance."

"Das Heck des Rennwagens hat in diesem Fall weniger Abtrieb und dadurch ergeben sich andere Bremspunkte und dergleichen", sagt Neale und verweist auf Elemente wie die Motorbremse oder den Einsatz von KERS. "Es ist ja nicht so, dass es mit einem kleinen Eingriff getan wäre", ergänzt der Team-Geschäftsführer von McLaren. "Veränderst du nur ein Teil, veränderst du das Gesamtbild." Aus diesem Grund habe man zuletzt eine "interessante Zeit" gehabt, wie Neale betont. "In den vergangenen sechs bis acht Wochen gab es sehr viele Veränderungen. Einfach ist das nicht, aber so läuft der Hase nun einmal", hält der Brite fest. Speziell für die Techniker in der Teambasis sei dies anstrengend. "Sie wissen: Schon am Montag könnte es wieder anders aussehen", sagt Neale.

Brawn: Kein Vertrauen in neue Diffusor-Regel


Eigentlich wollte die FIA der aerodynamischen Nutzung der Auspuffgase zur Generierung von Anpressdruck schon dieses Jahr einen Riegel vorschieben, doch dieser Versuch scheiterte an den heftigen Protesten einiger Teams. Für 2012 allerdings sollen die sogenannten auspuffangeströmten Diffusoren endgültig verboten werden. Innerhalb der Technischen Arbeitsgruppe (der die Technischen Direktoren aller zwölf Teams unter dem Vorsitz des FIA-Delegierten Charlie Whiting angehören) hat man die entsprechende Verbotsregel bereits formuliert: "Es ist ein nach oben mündender Auspuff, bei dem die letzten 100 Millimeter in Grösse und Winkel vorgegeben sind. Auf diese Weise versuchen wir, den angeströmten Diffusor zu verhindern", erläutert Sam Michael, der ehemalige Technikchef des Williams-Teams. Doch ob die vereinbarte Formulierung wirklich wasserdicht ist, daran scheiden sich die Geister. "Diese Woche gibt es ein weiteres Meeting der Technischen Arbeitsgruppe der FIA", kündigt Ross Brawn an. "Je mehr sich alle damit befassen, desto mehr versuchen wir, etwaige Schlupflöcher zu stopfen, aber es gibt keine Garantien dafür, dass nicht doch jemand mit irgendetwas daherkommt. Ich würde sagen, die Regel ist ziemlich robust, aber noch nicht zu 100 Prozent."

Die Stimmung unter den Teams ist wegen des RRA-Streits, der sich zu einer echten Zerreißprobe für die FOTA entwickelt hat, ohnehin angespannt, sodass sich das gegenseitige Vertrauen in Grenzen hält. Nicht zuletzt deswegen soll es gerade dem Mercedes-Teamchef ein Anliegen sein, etwaige Diffusor-Schlupflöcher im Vorhinein zu stopfen, damit es nicht wieder zu leidigen Diskussionen wie zuletzt 2009 um den Doppeldiffusor kommt. "Die Schwierigkeit ist", so Brawn, "dass wir jetzt eine Phase erreichen, in der die Teams lieber nach ihrem eigenen Vorteil suchen anstatt die Regeln zu ändern. Am Anfang arbeiten alle mit den besten Absichten zusammen, um die bestmöglichen Regeln zu formulieren, aber dann gibt es irgendwann einen Punkt, wo sie sich sagen: 'Wir haben mitgeholfen, die Regeln zu erstellen, aber wenn unser Ingenieur jetzt eine zündende Idee hat, dann wollen wir das nutzen!' Das müssen wir abwarten. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob es nicht doch wieder irgendein innovatives Auspuffsystem geben wird, denn eines ist klar: Man kann Wissen nicht einfach verlieren und die aerodynamische Kraft, die sich durch die Auspuffgase gewinnen lässt, ist beträchtlich. Die Leute wissen jetzt genau, was sie mit dem Auspuff und dem Motorenmapping erreichen können, um diesen Effekt zu beschleunigen", befürchtet der 56-Jährige.

Neue Auspuffregeln kein Problem für McLaren


Der angeströmte Diffusor hat in dieser Saison viel viele Diskussionen gesorgt. Nach dem Höhepunkt in Silverstone wurde beschlossen, dass die Auspuffendrohre im kommenden Jahr nicht mehr in der Diffusorregion enden dürfen, sondern oben aus der Karosserie münden müssen. Damit will der Automobilweltverband FIA verhindern, dass wieder extreme Lösungen bei der Motorsteuerung und beim Diffusor entwickelt werden. Mehr Anpressdruck erhöht natürlich auch die Kurvengeschwindigkeit. Dennoch wird es auch diesmal findige Ingenieure geben, die die Auspuffgase auch künftig nutzen werden, um den Abtrieb zu verbessern. "Ich habe darüber keine Bedenken", sagt Paddy Lowe, der Technikdirektor bei McLaren-Mercedes. "Ich verstehe nicht, warum manche Technikdirektoren sagen, dass sie Bedenken haben. Wovor haben sie Angst? Der Hinweis steckt im Namen: Formel 1. Es ist eine Formel, es gibt eine Reihe von Grenzen, die wir im Reglement festlegen. Wenn diese feststehen, dann arbeiten wir so hart wir können, um das Auto innerhalb dieser Regeln so schnell wie möglich zu machen."

Abgesehen vom Unterboden sind auch die Motorenmappings ins Visier der FIA geraten. Selbst wenn die Fahrer nicht am Gas stehen, läuft der Motor mit hoher Leistung weiter, um einen konstanten Fluss der Abgase in den Diffusor zu ermöglichen. Jede Kurve wird eigens programmiert. Im kommenden Jahr sollen auch diese extremen Mappings eingeschränkt werden. Lowe findet, dass jeder naiv ist, der glaubt, es wird in Zukunft nicht mit den Auspuffgasen gearbeitet werden, um aerodynamischen Anpressdruck zu generieren. "Wir hatten also diese Krise in Silverstone und haben einige Vereinbarungen für die kommende Saison getroffen", sagt Lowe. "Die Teams haben seither an Limits gearbeitet, bis zu welchen Ausmassen die Auspuffgasse zur Generierung von Abtrieb verwendet werden können. Es wurde aber nie erwartet, dass man die Effekte der Auspuffgase auf den Abtrieb ganz eliminieren kann. Das wäre unrealistisch. Wir haben noch nie Regeln geschrieben, die Effekte innerhalb des Autos eliminieren. Es wird immer einen kleinen Effekt geben. Simpel gesagt, gibt dir ein Auspuff, der nach hinten ragt, eine große Menge Schub. Das ist aerodynamischer Fakt. Wir wissen aber alle, dass wir noch viel mehr herausholen können. Deshalb haben sich die Teams dieses Gebiet mit offenen Augen angesehen. Ich finde es also etwas komisch, wenn Leute sagen, dass sie Angst davor haben, wenn jemand über die Auspuffgase Performance gewinnen will. Natürlich werden sie das tun. Das müssen wir tun. Es wurden nur sehr extreme Limits gesetzt, um diese extremen Formen zu reduzieren."

Die geplanten Einschränkungen bei den Motormappings beeindrucken Lowe ebenfalls nicht: "Wir haben vor Kurzem eine Klarstellung der FIA erhalten, wie ein Motor laufen sollte. Das ist aus heiterem Himmel gekommen. Das wurde vorher von der FIA nicht angegeben. Aber auch das sorgt für bestimmte Limits, innerhalb derer wir arbeiten müssen."

12.11.2011